Freitag, 15. September 2017

7 Gründe dafür, dass Stephen Kings „Es“ einer der besten Horrorfilme der letzten Jahre ist

(© Warner Bros.)
„Es“ (USA 2017)

Regie
: Andrés Muschietti
Drehbuch: Chase Palmer, Cary Fukunaga, Gary Dauberman, Stephen King (Roman)
Mit: Jaeden Lieberher, Sophia Lillis, Finn Wolfhard, Jeremy Ray Taylor, Chosen Jacobs, Jack Dylan Grazer, Wyatt Oleff, Nicholas Hamilton, Bill Skarsg
ård

Wertung★★★★★★★★

Handlung: In der Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine verschwinden immer wieder Menschen – so auch Georgie, der kleine Bruder von Bill Denbrough. Dafür verantwortlich ist ein namenloses Unheil, das meist in Form eines mörderischen Clowns mit dem Namen Pennywise auftritt. Nach und nach begegnen auch Bill und seine Freunde diesem unheimlichen Bösen. „Der Club der Verlierer“, wie die sieben Heranwachsenden sich selbst nennen, beschließt, sich ihm entgegen zu stellen und Georgies Tod zu rächen.



1. Die Eröffnungssequenz: Der Prolog des Buches ist zum Klassiker geworden – Andrés Muschiettis Leinwand-Umsetzung dessen schon jetzt auf dem besten Weg dorthin. Der stark erkältete Bill (Jaeden Lieberher) baut für seinen kleinen Bruder Georgie (Jackson Robert Scott) ein Papierschiff, schickt den verängstigten kleinen Jungen in den dunklen Keller, wo er Wachs holen, währenddessen klimpert die Mutter der beiden eine beunruhigende Melodie auf dem Klavier. Als Georgie dann in seinem gelben Regenmantel das Schiffchen über die vom andauernden Regen gefluteten Straßen Derrys schwimmen lässt und es in einem Abfluss verschwindet, trifft er dort auf Pennywise (Bill Skarsgård). „Ich bin Pennywise, der tanzende Clown“, stellt dieser sich vor, fragt den Jungen, ob er nicht gerne einen Ballon hätte. „Hier unten schweben wir alle“, sagt er mit bösartig-verschmitztem Lächeln. Am Ende verliert George nicht nur seinen Arm, sondern gleich sein Leben. Pennywise hat sein erstes Opfer gefordert. Fast eins zu eins adaptiert Regisseur Muschietti diese Sequenz aus Stephen Kings Roman und zwar so intensiv, dass der Film den Zuschauer bereits in den ersten Minuten für sich einnimmt. Dafür sorgt auch Bill Skarsgård, der bereits in seiner ersten Szene auf den Punkt bringt, mit wem der „Club der Verlierer“ es in den nächsten zwei Stunden zu tun bekommen wird: Mit einem blutrünstigen und verschmitzt-bösartigen Verführer. 


2. Pennywise: Ja, Tim Currys Darstellung des scharfzähnigen Killer-Clowns Pennywise im TV-Zweiteiler von 1990 ist großartig furchteinflößend und nicht umsonst auch heute noch weltberühmt, während die Erinnerung an den Rest des Films bei den meisten wohl lange verblasst ist – und nur beim ausführlichen Herumkramen im Gedächtnis noch die Bilder der holprig getricksten Stop-Motion-Spinne im großen Finale oder die der leuchtend rote Mähne des jungen Seth Green gefunden werden. Aber tatsächlich steht Bill Skarsgårds Pennywise dem von Tim Curry in nichts nach: Er legt seine Verkörperung weniger ironisch und zwielichtig an, sondern vielmehr als direkt-grauenerregende Horror-Gestalt. Der hinter den Hasenzähnen hervorsprudelnde Sabber, das alptraumhafte Grinsen, die melodiös-bösartige Art, wie er jedes einzelne Wort ausspuckt – Skarsgårds Pennywise ist eine der faszinierendsten und grauenerregendsten Horrorfilm-Wesen der vergangenen Jahre, wenn nicht überhaupt. 

3. Die Besetzung: Bei Finn Wolfhard, der den Nachwuchskomiker Richie Tozier verkörpert, war bereits nach der ersten Staffel „Stranger Things“ im vergangenen Jahr klar, dass er sich perfekt in den „Club der Verlierer“ einfügen würde. Und meiner Meinung nach toppt er seine Leistung aus der Netflix-Serie mit seinem schelmisch-vorlauten Auftritt in „Es“ sogar nochmal. Nicht weniger überzeugend ist Jaeden Lieberher („Midnight Special“) in der Hauptrolle als „Stotter Bill“ Bill Denbrough. Er spielt den schüchternen Jungen mit Sprachfehler, der nach dem grausamen Tod seines kleinen Bruders Georgie über sich hinauswächst und die treibende Kraft im Kampf gegen das namenlose Böse Es ist, zu jeder Sekunde ebenso überzeugend wie sympathisch. Aber auch die anderen Mitglieder des Clubs sind hervorragend besetzt, vor allem die Chemie zwischen ihnen hätte nicht besser sein können. Besonders hervorheben muss man jedoch noch Sophia Lillis („37“), die mit ihrer Verkörperung der taffen und gepeinigten Beverly Marsh Millie Bobby Brown (Eleven in „Stranger Things“) den Ruf als vielversprechendste Nachwuchsschauspielerin zumindest vorerst abläuft. Als gewalttätiger Mitschüler Henry Bowers glänzt zudem Nicholas Hamilton („Captain Fantastic“), der es mehr als nur überzeugend schafft, in seiner Darstellung von jetzt auf gleich vom außer unter Kontrolle geratenen Nachwuchs-Psychopathen zum verängstigten und in sich zusammengekauerten Jungen zu wechseln, sobald sein dominant-aggressiver Leinwand-Vater die Bühne betritt.

4. Die 80er-Jahre-Atmosphäre: 
Während die Handlung im Roman in den 1950er Jahren spielt, wurde sie für den Film in die 1980er, genauer gesagt ins Jahr 1989 verlegt. Das hat einen ganze einfachen Grund: Die Geschichte mit dem erwachsenen „Club der Verlierer“, die im kommenden zweiten Teil erzählt wird, soll in der Gegenwart spielen. Da Es alle 27 Jahre aus seinem ausgedehnten Winterschlaf erwacht, ist es demnach nur logisch, dass der erste Teil am Ende der 1980er angesiedelt ist. Und diese Zeit wird perfekt einfangen: Von den umherfahrenden Autos über die Kleidung der Protagonisten bis hin zu den Freizeitaktivitäten. Sie kämpfen in der Spielhalle um Street-Fighter-High-Scores, im Kino läuft „A Nightmare On Elm Street 5“ und aus den Kopfhörern von Bens (Jeremy Ray Taylor) Walkman schallen die New Kids On The Block. So wie in J.J. Abrams „Super 8“ das Ende der 1970er und in „Stranger Things“ die Mitte der 1980er, wird in „Es“ das Ende eben diesen Jahrzehnts glaubhaft wieder zum Leben erweckt. Für 135 Minuten fühlt man sich, als wäre man mit einer Zeitmaschine mitten ins Jahr 1989 katapultiert worden.

5. Die Coming-of-Age-Geschichte: 
Das wahre Prunkstück von Andrés Muschiettis „Es“: Die einzelnen Coming-of-Age-Geschichten der 12- bis 13-jährigen Protagonisten, die sich schlussendlich vereinen. Jeder hat tiefsitzende Probleme, nicht umsonst nennen sie sich „Club der Verlierer“. Beverly (Sophia Lillis) wird von ihrem Vater missbraucht, Bills Bruder wurde ermordet, Ben (Chosen Jacobs) ist der neue in der Stadt und außerdem alles andere als schlank und Eddie (Jack Dylan Grazer) hat eine übervorsichtige Mutter, die ihn am liebsten daheim einsperren würde. Dazu kommt die voranschreitende Pubertät, sowohl bei Beverly, die ihre erste Periode vor ihrem Vater zu verbergen versucht, als auch bei den Jungs, die um die Gunst der rothaarigen Bev konkurrieren. Mit diesen Themen hätte der Film bitter und schwermütig werden können, doch dank der stark geschriebenen Figuren ist er das zu keiner Sekunde: Alle Probleme der Heranwachsenden werden mit kindlicher Naivität und Lockerheit betrachtet, lieber bringt man einen kessen Spruch als stattdessen Trübsal zu blasen. Es ist immerhin Sommer und da soll man Spaß haben! Dennoch fehlt nie die Ernsthaftigkeit, nie wird etwas zur Auflockerung ins Lächerliche gezogen. Stets weht ein unüberhörbarer Wind, der „Stand By Me“ oder „Breakfast Club“ flüstert. Allerdings erhebt sich dieser Wind nie zu einem Sturm, nie wirkt etwas abgekupfert, „Es“ bleibt stets eigenständig.


Der „Losers Club“: Chosen Jacobs, Finn Wolfhard, Sophia Lillis, Jaeden Lieberher, Jack Dylan Grazer, Wyatt Oleff & Jeremy Ray Taylor (v.l.n.r.)
(© Warner Bros.)
6. Der Horror: Während die Chemie zwischen den sieben Kindern und Skarsgårds Pennywise-Darstellung die beiden absoluten Glanzstücke des Films sind, sind auch die weiteren Horror-Elemente stark und furchterregender als in all den (fast)immergleichen Haunted-House-Schockern der letzten Jahre. Ständig wechselt der Clown seine Gestalt, taucht mal als gruselig deformierte Frau aus dem Büro von Stan Uris‘ (Wyatt Oleff) Vater auf, dann mal als gigantische Version seiner selbst oder auch als widerlich entstellter Aussätziger, den man schon aus Kings Roman kennt. All diese Erscheinungen sind toll designt und effektvoll zum Leben erweckt. Wenn zum Beispiel ein kopfloses Kind in stotternden Bewegungen auf Ben zuwankt, dann ist das gleichzeitig eine Hommage an die Stop-Motion-Monster der TV-Version, aber ebenso auch auf seine ganz eigene Art beängstigend. Selbst die Jump Scares gefallen in „Es“: Sie sind nicht bloß da, um den Zuschauer zu erschrecken, sondern stets sinnvoll in die Handlung eingebunden. Man durchlebt diese Schreckmomente aus der Sicht der Protagonisten, die diese Augenblicke genauso oder zumindest ähnlich wahrnehmen.

7. 
Die perfekten Stimmungswechsel: Eine der erstaunlichsten Leistungen von Muschietti und seinem Team sind die gelungenen Stimmungswechsel, die den ganzen Film durchziehen: Innerhalb von wenigen Minuten werden die Kinder von angsteinflößenden Monstern terrorisiert, rennen um ihr Leben, lachen über einen angebracht-unangebrachten Krebs-Witz von Richie (Finn Wolfhard) und werfen sich Deine-Mutter-Sprüche an den Kopf. Und auch als Zuschauer lässt man sich aus der Schockstarre wieder gemütlich in den Sitz rutschen, stimmt in das Gelächter der Gruppe ein. Gemeinsam mit ihnen verdrängt man die schrecklichen Bilder – nur, damit sie sich kurz darauf in anderer Form umso schockierender wieder ins Sichtfeld schieben. Wo so schnelle Stimmungswechsel bei anderen Filmen störend wirken würden, kauft man den jungen Protagonisten sowohl ihre Angst als auch ihre ausgelassene Freude zu jedem Moment ab – und steigt sogar mit ein.


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